Der Brandstein
Vollkommen isoliert erhebt sich der Brandstein über das von Dolinen zerlöcherte Karstplateau des westlichen Hochschwabgebirges. Sein Gipfel bildet dabei die Bezirksgrenze zwischen Liezen im Norden und Bruck/Mürzzuschlag im Süden. Dabei glaubt man kaum, dass durch die von der Pfaffing aus einsehbare Südwand kaum Routen führen. Der Fels wirkt plattig, doch die Abgschiedenheit ließ nur wenige Aspiranten in seine plattigen Wandfluchten eindringen. Uns hat es vor allem der plattige Teil der östlichen Südwand angetan und so entscheiden wir uns kurzerhand an einem richtig schönen Oidweibersummer Wochenende zum Brandstein zu pilgern um unsere Neutour “Betrogenes Vaterland” zu eröffnen.
Gsollalm mit der Frauenmauer im Abendlicht
Alte Wege – Neue Pfade
Dabei ergeben unsere Recherchen, dass in Nähe der markanten Verschneidung eine alte Südwandroute namens “Weg Schreiner” emporzieht. Rechts davon befindet sich eine neue alpine Sportkletterroute aus dem Jahr 2017 mit dem Namen “La voi de l’amour”. Der Bereich dazwischen schaut äußerst vielversprechend aus und so wollten wir dort unser Glück versuchen. Die frischen Ausbrüche lassen einen jedoch schnell erkennen, dass man sich hier nicht in einem Plaisiergebiet zu wähnen braucht.
“Alles Große, das Menschen je geleistet, geht aus der Einsamkeit, aus der Vertiefung geistigen Schauens hervor.” – Peter Rosegger
Am Freitag Abend treffen wir uns voll bepackt mit den Einbohrutensilien und marschieren los in Richtung Pfaffing. In der Union Hütte bekommen wir kurzfristig einen Schlafplatz, was die Unternehmung doch um einiges einfacher macht. Der doch schon recht kurze Tag macht sich bemerkbar und ab dem Bärenloch gehen wir in der Dunkelheit. Bei der Hütte werden wir herzlich empfangen und verbringen einen netten Abend, bis wir uns frühmorgens in Richtung Südwand aufmachen.
Kuni beim Zustieg am Fuße vom Brandstein
Start in die Wand neben der markanten Verschneidung
Brandstein Südwand im Morgenlicht
Von weitem schaut der Wandteil, welchen wir uns ausgeschaut haben, schon einmal sehr vielversprechend aus. Die unteren Platten wirken zwar steil, doch es sind immer wieder rampenartige Strukturen in den Felsgebilden zu erkennen, welche einen Anstieg ermöglichen könnten.
Let’s get started – Betrogenes Vaterland
Kuni startet in die erste Seillänge. Eine plattige Rampe, die im oberen Teil leicht splittrig auf ein gemütliches Podest leitet. Von hier geht es über eine harte, weil brüchige Einzelstelle in einen plattigen Quergang, der in anregender Kletterei auf das nächste Band leitet. Hier beziehen wir gemeinsam mit dem Weg Schreiner Stand, bei welchem 2 Haken in den splittrigen Boden geschlagen wurden. Die Route selbst führt dabei über splittriges Gelände wenige Meter orographisch links der Verschneidung empor. Hut ab vor den Ahnen.
Brandstein – Betrogenes Vaterland – Beim Einbohren der 2. SL
Wir suchen uns bis zum Erreichen der großen Terrasse, die schöneren Meter zusammen, doch das Gelände wird zunehmend schrofiger. Auf der großen Terrasse entscheiden wir uns für den linken Wandteil, welcher der Verschneidung am nächsten ist. Während der “Weg Schreiner” und “La voi de l’amour” über die orographisch linken Platten leiten entscheiden wir uns für den rechten Wandteil. Über eine kurze Verschneidung und eine anschließende wasserzerfressene Querung (Planspitze NW lässt grüßen) geht es in zunehmend anregender, abwechslungsreicher Kletterei den finalen Platten entgegen.
Am Standplatz der 8. Seillänge beenden wir unser Tagwerk. Müde doch zufrieden machen wir uns auf den langen Nachhauseweg. Die hopfige Wegzehrung, welche uns Herwig auf der Unionhütte kredenzte, bringt uns dabei etwas auf Vordermann. Da der nächste Tag ähnlich traumhafte Verhältnisse verspricht komme ich mit Kuni überein die Tour in diesem Jahr zu finalisieren, falls ich auf die schnelle einen Partner finde.
Kurzentschlossen sagt mir mein Vater für den nächsten Tag zu und so machen wir uns früh am Morgen in Richtung Brandstein Südwand auf. Bis zur Pfaffing geht es mit leichtem Gepäck, wo wir die deponierte Bohrmaschine aufnehmen. Der Einstieg ist schnell erreicht und wir steigen rasch zum Endpunkt des Vortages.
“Betrogenes Vaterland” die 2.
Von hier begeben wir uns wieder ins Neuland. Laut Schätzung sollte der Ausstieg in 3-4 Seillängen erreicht sein. Nach einem rampenartigen Riss beziehen wir Stand unterhalb einer vielversprechenden Platte über die es in listiger Schleicherei empor geht. Nun legt sich das Gelände komplett zurück und am Ende der 10. Seillänge können wir bereits die Bohrhaken der “La voi de l’amour” sehen, über die der finale Stand schnell erreicht ist.
Ein Blick aus der Wand
Brandstein – Betrogenes Vaterland – Papa in der letzten schönen Platte
Brandstein Gipfel in Sicht
Seilaufnehmen Deluxe
Zufriedenheit
Zufriedenheit ist wohl das Gefühl, welches die Stimmung am besten beschreibt. Bei Nullwind nehme ich das Seil auf. Mein Blick schweift in das zentrale Schwobenmassiv. Jetzt kann ich die traumhafte Stille dieses Tages noch einmal so richtig genießen. Zufrieden blicke ich auch auf die heurige Klettersaison zurück, in welcher ich viele schöne Tage mit lieb gewonnenen Menschen erleben durfte. Ein kurzes Shakehands am Gipfel und dann geht es auch schon der Zivilisation entgegen. Herwig hat uns noch ein Bierl auf der Unionhütte hinterlegt, was in dem dehydrierten Organismus noch einmal die letzten Lebensgeister erweckt. Beim letzten Tageslicht erreichen wir die Gsollkehre, wo die aufziehende Cirrenbewölkung bereits den Wetterumschwung ankündigen.
Gipfelfoto nach vollendeter Erstbegehung
Hard Facts
- Gebirge: Hochschwab
- Gipfel: Brandstein
- Route: Betrogenes Vaterland
- Schwierigkeit: VI+ (V+/A0)
- Wandhöhe: 350m
- Erstbegeher: K. Endler und M. Kopitsch am 26.10.2019 | F. Kopitsch und M. Kopitsch am 27.10.2019
Tipps und Infos
- Material: 50m Einfachseil, 7 verlängerbare Expresssets
- Führerliteratur:
- Hochschwab Auferbauer
- Kletterführer Hochschwab – Martin Gumpold, Christian Leitinger und Thomas Behm
- Bis auf eine kurze Einzelstelle in der 2. SL eine homogene Route zwischen 4. und 5. Schwierigkeitsgrad
Fazit
- Entstanden ist eine schöne Tour in einem abgelegenen Schwobenwinkel
- Wohl nur für jene Personen interessant, die sich voll und ganz mit diesem Gebirgsmassiv verbunden fühlen