Bei der klassischen “Hoch Tirol” handelt es sich um eine 6-tägige Hochgebirgsdurchquerung startend von Kasern in Südtirol bis zum Großglockner. Die Skitraverse führt dabei über vergletscherte Hochgebirgslandschaften quer durch die Hohen Tauern. Von den gewonnenen Eindrücken, die wir in diesen 114km und 10.150hm gewinnen konnten, werden wir sicherlich noch lange zehren.
Planung
Doch gehen wir zuerst ein paar Tage zurück. Wie jede vernünftige Unternehmung so startet auch diese mit einer soliden Planung. Trotz hervorragender Wetterprognose sollte auch diese Überschreitung neben dem ursprünglichen Wegverlauf auch einen Plan B und Plan C enthalten.
Nun kam meine persönlich unbeliebteste Tätigkeit in der Vorarbeit, nämlich das Durchtelefonieren sämtlicher Quartiere. Hierbei gehe ich chronologisch vor. Da es bei unserem ursprünglichen Zeitplan leider keine Übernachtungsmöglichkeit auf der Johannis- und der Rudolfshütte gab, verschieben wir den Start schlichtweg um einen Tag nach hinten.
Nachdem die Quartiere reserviert waren, kam dann mit der Detailplanung zumindest der spannendere Teil der Planungsphase. Mittels AV-Karten wurden die Routen geplant und in Form von GPX-Tracks auf Smartphone und Uhr übertragen, um auch bei schlechter Sicht auf Kurs bleiben zu können. Die Karten selbst werden in analoger Form sowie abfotografiert in den Rucksack gepackt.
Als Verpflegung planen wir pro Tag 2 Riegel, sowie 2 Trinkflaschen mit jeweils 0,75l, für die wir die jeweilige Menge an Kohlenhydratpulver mitführen, ein. Das sollte erfahrungsgemäß für die jeweiligen Tagesetappen reichen.
Start im hinteren Ahrntal
Über liebliche Steilstufen geht es dem Umbaltörl (2848m) entgegen
Etappe 1 – Von Kasern über das Umbaltörl und Reggentörl zur Essener Rostocker Hütte
Bei der Anreise stellen wir ein Fahrzeug im Dorfertal ab und fahren mit dem Zweiten in das hinterste Ahrntal nach Kasern, wo unsere Tour starten sollte. Da die Anreise aus dem Steirischen doch länger dauert, entschieden wir uns eine Nacht in Kasern zu übernachten und am nächsten Tag frisch ausgeruht die 6-tägige Überschreitung anzugehen.
Der Rucksack wurde platzsparend gepackt und bringt bis zu 12kg auf die Waage. Und so starten wir im Talschluss des Ahrntales auf einer Langlaufloipe taleinwärts, die wir jedoch bald in das nach Südosten ziehende Windtal verlassen. Der Winter 2022 war im Süden eher schneearm und so geht es in organischer Wegführung in Richtung Reggentörl. Der schwere Rucksack erinnert mehr an eine Hike and Fly Tour mit anschließendem Streckenflugtag, als an eine Schitour, doch daran gilt es sich jetzt zu gewöhnen.
Das Ahrntal im Rücken
Der finale Anstieg zum Reggentörl (3056m)
Auf alten Schmugglerwegen
Am Umbaltörl (2926m) sehen wir den restlichen Weg zum Reggentörl (3047m), einem bekannten Osttiroler Schmugglerpfad, ein. Die Tour entspricht der logischen Linie vom Ahrntal zur Essener Rostockerhütte, auch wenn es nicht gerade befriedigend ist, über 2 Pässe zu schreiten.
Der Schnee ist eher von seiner windgepressten, ruppigen Gattung und das sollte sich auch in den kommenden Tagen nicht wirklich ändern. Und so rumpeln wir nach den (fast) letzten Höhenmetern des Tages vom Reggentörl hinunter in Richtung Maurertal. Ein Blick auf den Höhenmesser verrät uns, dass wir uns auf Höhe der Hütte befinden müssen. Vermeintlich sehe ich den Hüttengiebel etwas weiter unten und so fahren wir in eine Talmulde, von welcher wir die Hüttenfahne etwas weiter oben wehen sehen. Naja hilft nichts, dann machen wir die 2000hm voll, ehe wir bei einem leckeren Abendessen unsere leeren Speicher wieder auffüllen. Doch soviel sei schon vorweggenommen, dies sollte der einzige Verhauer der Überschreitung bleiben.
Holprig geht es hinab Richtung Essener und Rostocker Hütte
Auf der Essener und Rostocker Hütte (2208m) herrscht bereits reges Treiben. Kein Wunder an diesem schönen, beständigen Wochenende. Der Hüttenwirt nimmt sich jedoch extra Zeit, erkundigt sich nach der Tourenplanung seiner Gäste und wie das Essen geschmeckt hat. Etwas oberhalb der Hütte hat man sogar Handyempfang und so können wir kurz daheim Bescheid geben, dass alles gut gelaufen ist und wir auf Kurs sind.
Die Nacht im Lager war zwar nicht die angenehmste, aber wir können dennoch halbwegs erholt in den nächsten Tag starten.
Morgen auf der Essener und Rostocker Hütte
Morgenstund
Etappe 2 – Von der Essener Rostocker Hütte über den Großen Geiger zur Johannishütte
Am Tag 2 fühlt sich der Rucksack dann schon nicht mehr ganz so schwer an. Der Tag startet flach in das eindrucksvolle Maurertal in Richtung Großer Geiger (3360m). Dieser stellt den ersten Gipfel unserer Überschreitung dar.
Vom ersten Gipfelziel unserer Unternehmung sehen wir dann die Strecke bis hin zum Großglockner ein. Da steht uns noch ein ziemlich breiter Weg bevor, doch unser morgiges Tagesziel, der Großvenediger, lässt unsere Bergsteigerherzen bereits vor Vorfreude höher schlagen.
Vorher haben wir jedoch noch eine, nennen wir sie landschaftlich lohnende Abfahrt vor uns. Nach einer langen Querfahrt unter dem Großen Happ (3352m) fahren wir über das Türmljoch (2845m) entlang des Sommerweges zur Johannishütte (2121m). Einzig die letzten Meter zur Johannishütte beinhalten wenige firnige Abfahrtsmeter.
Im familiären Ambiente der Johannishütte lassen wir die Tagesetappe ausklingen, bevor am kommenden Tag mit dem Großvenediger ein bergsteigerisches Highlight bevorsteht.
Durch das Maurertal auf den Großen Geiger (3360m)
Etappe 3 – Johannishütte über den Großvenediger zum Tauernhaus
Der 3. Tag unserer Überschreitung beginnt erneut sonnig und am klassischen Sommerweg orientieren wir uns vorbei am Defreggerhaus (2962m) zum Rainerkees. Von dort tauchen wir ein in eine Gletscherwelt, welche uns vorbei an Rainerhorn (3559m) in angenehmer Wegführung bis hin zum Gipfel des Großvenedigers (3657m) begleiten sollte. Tage mit solch traumhafter Fernsicht beflügeln die Träume und Ziele und wieder einmal wird mir bewusst, dass ein Menschenleben einfach zu kurz ist, um auch nur einen Bruchteil der Alpen wirklich kennenzulernen. Am Gipfel genießen wir bei wenig Wind die Aussicht von den Dolomiten bis hinein in die Westalpen, bis wir über das Schlatenkees in Richtung Pragerhütte(n) abfahren.
Das Schlatenkees wie auch das Reinerkees sind sehr spaltenreiche Gletscher, doch die dürftige Schneelage und faktisch kein Neuschnee machen die Abfahrt zwar nicht genussvoll, aber zumindest übersichtlich.
Von der alten Pragerhütte (2489m) zum Innergschlöss wird es ein kurzer Kampf mit dem sulzigen Tiefschnee, bevor es durch den wunderschönen Talschluss skatend in Richtung Matreier Tauernhaus (1512m) geht.
Der Großglockner rückt näher
Blick aufs Rainerkees
Am Gipfel der Weltalten Majestät
Durch einen wunderschönen Tauerntalschluss
Etappe 4 – vom Tauernhaus über die Granatscharte zur Rudolfshütte
Für diesen Tag sollte sich das Wetter, in dem vor wenigen Tagen noch an und für sich lupenreinen Wetterbericht, verschlechtern. Hohe Schichtbewölkung sowie leichter Schneefall sollten schon im frühen Tagesverlauf aufkommen. Auf dem Weg vorbei an Dabersee (2400m) in die Scharte zwischen Amertaler Höhe (2780m) und Sillingkopf (2845m) verschlechtert sich das Wetter zunehmend. Die Abfahrt ins Landecktal mit anschließendem Gegenanstieg ist orientierungstechnisch, dann schon anspruchsvoller.
In der Granatscharte (2974m) ist die Sicht dann derartig schlecht, dass wir auf den Gipfel verzichten und uns mittels GPS Track in Richtung Rudolfshütte (2311m) orientieren. Vom Whiteout in der Granatscharte zum Massentourismus in der Rudolfshütte liegen lediglich 30 Minuten und fast surreal wirkt dieses Ambiente. Bei der Rudolfshütte handelt es sich um ein Hotel, das mit einer Berghütte nicht viel gemeinsam hat. Sauna mit Blick auf Sonnblick und Granatspitze, Kletterwand und Swimmingpool findet man in dieser in die Jahre gekommenen Residenz.
Sicht sehr schlecht bis schlecht
Etappe 5 – Von der Rudolfshütte über das Kalser Törl zum Lucknerhaus
Dass nicht immer die Sonne scheinen kann, ist eine nette Metapher für das Leben generell. Heute ist der schlechteste Tag der Überschreitung und somit tritt Plan B in Kraft. Über die Piste geht es in Richtung Kalser Törl (2515m), stets der Brotkrümelspur auf dem GPS folgend. Wenige Höhenmeter abwärts in Richtung Dorfertal normalisiert sich auch wieder die Sicht. Durch den Saharastaub wirkt die Landschaft nahezu dystopisch.
Das Dorfertal nimmt ebenfalls kein wirkliches Ende, aber irgendwann stehen wir doch am Talschluss beim Taurerwirt, wo wir in der Nähe unser Auto bei einem Parkplatz abgestellt haben. Dort wechsle ich die Schitourenausrüstung gegen die Laufschuhe und Laufe die 8km und 500hm hinauf zum Lucknerhaus (1920m), wo wir die letzte Nacht vor dem Großglockner verbringen.
Dystopische Schwünge im Dorfertal
Etappe 6 – Vom Lucknerhaus zum Großglockner
Das Wetter hat sich für heute wieder etwas gebessert, auch wenn es kein klassisches Glocknerwetter mit traumhafter Fernsicht geben wird. Der positive Nebeneffekt ist jedoch, dass kaum Leute unterwegs sind und diejenigen, die wir treffen, sind meist „alte“ Bekannte, da man sich immer bei den Hüttenübernachtungen begegnet ist. Das Leitl selbst ist, betrachtet man die Jahreszeit, in einem miserablen Zustand, doch der ausgesetzte Grat zum Kleinglockner ist spannend wie immer. Vor allem haben wir heute das Privileg uns nicht zum Gipfel stauen zu müssen und können die anregende Kletterei so gleich viel besser genießen.
Nach 6 Tagen in Südtirol zu starten und schließlich am höchsten Gipfel Österreichs zu stehen ist ein wahrlich erhabenes Gefühl. Selten hat sich eine Glocknerbesteigung derart richtig angefühlt und das Projekt „Hoch Tirol“ somit abschließen zu können war ein Hochgenuss. Im Geiste lasse ich noch einmal alle schönen Momente Revue passieren und freue mich schon auf die nächsten Abenteuer im Hochgebirge, denn der Rucksack an neuen Ideen und Plänen ist nach dieser Skitraverse wieder gut gefüllt.
Die letzten Höhenmeter
Wenig Schnee am Glockner
Endpunkt
Hoch Tirol geschafft
Hard Facts
- Gebirge: Hohe Tauern
- Gipfel: Großer Geiger (3360m) Großvenediger (3657m) Großglockner (3798m)
- Höhenmeter: 10150 hm
Tipps und Infos
- Führerliteratur:
- Schitourenführer Hohe Tauern – Markus Stadler und Uta Philipp
- Alpenvereinskarte 36, Venedigergruppe
- Alpenvereinskarte 39, Granatspitzgruppe
- Alpenvereinskarte 40, Glocknergruppe
- Ideal im Frühjahr nach Öffnung der Stützpunkte
- Routenbeschreibung
Fazit
- Abwechslungsreiche, konditionell anspruchsvolle Tour
- Erlebnisreiche Skitraverse
- Sich auf eine längere Überschreitung einzulassen bereichert das Leben