Auf den Spuren von Paul Preuß

Wer die Geschichte der Ahnen verstehen will, muss deren Wege beschreiten. So erwuchs mein historisches Interesse meist erst nachdem ich einen geographischen Bezug zur Geschichte herstellen konnte. Die Person des Paul Preuß faszinierte mich schon seit längerem. Beispielsweise wurde der Preußquergang, die Schlüsselstelle der Ödsteinkante in durchwegs eleganter Kletterei gelöst und bildet somit den wohl schönsten Anstieg auf den Großen Ödstein. Eine schöne Route in der steirischen Heimat, die ich stets gerne besuche.

So erwuchs in mir das Begehren weitere Touren von Paul Preuß zu klettern und mich in diese Pflichtlektion in Sachen Freiklettergeschichte zu vertiefen.

Der Preußriss

Der Preußriss auf den Preußturm ist eine wilde Linie, die den steilen Turm an seiner offensichtlichen Schwachstelle durchquert. Vom Paternsattel (2454m) wirkt der Turm sehr eindrucksvoll. Der Zustieg ist dabei rasch erledigt und die sonnenbeschienen Südostwände von Kleiner Zinne, Punta Frieda und Preußturm sorgen für einen guten Start in den Tag.

Als wir um 7 Uhr den Einstieg der Tour erreichen, wirkt diese „kleinste Zinne“, wie sie zur Verhöhnung des Erstbesteigers gerne bezeichnet wird, dann gar nicht mehr so winzig. Steil zieht das felsige Bollwerk über unseren Köpfen empor. Die erste Seillänge ist zwar nicht schwierig doch muss ich auf Grund der Kälte gepaart mit den unaufgewärmten Knochen doch mehrmals ansetzen. Immerhin befinden wir uns auf über 2500m. Durch die nordostseitige Ausrichtung bekommt die Wand lediglich in der Früh ein paar Sonnenstrahlen ab und fristet den Rest des Tages ein Schattendasein. Auf Grund der teilweise doch ziemlich polierten Stellen sollte beim Klettern der Tour unbedingt auf trockene Verhältnisse geachtet werden.

Nach der Einstiegsseillänge folgt eine senkrechte Plattenwand im 4.Schwierigkeitsgrad. Der erste Haken steckt dabei in gut 8m Höhe. Auf Grund der regelmäßigen Begehungen der über 100 Jahre alten Route ist der Fels jedoch gut ausgeputzt. Dennoch muss man sich für den Schwierigkeitsgrad doch ziemlich gut anhalten.

So ausgesetzt kann ein 5er sein

Dann stehen wir auch schon am Beginn des Preußwandels, der offiziellen Schlüsselstelle der Tour. Die vorhandenen Haken wirken zwar solide aber austesten will ich dies unter keinen Umständen. Nachdem wir das Preußwandel hinter uns gebracht hatten, stehen wir am Beginn der markanten Kaminreihe, welche uns auf den Gipfel leitet. Die Zwischensicherungen sind ab hier kaum noch vorhanden, das Gelände bietet jedoch immer wieder die Möglichkeit die ein oder andere mobile Sicherung unterzubringen. Der Riss mag zwar griffig sein, doch ganz so entspannt will man einfach nicht klettern, wenn man 10 Meter über dem letzten Friend steht. In eleganter Spreizerei geht es für uns den Strukturen immer weiter folgend aufwärts, bis wir einen Stand tief im Kamin beziehen. Von diesem ging es hinaus in die blanke gelbe Wand. Ich staune über die Ausgesetztheit und bin fasziniert darüber, wie steil bereits vor 100 Jahren geklettert wurde.

Nun folgt die letzte Seillänge. Ein letzter Kamin ohne jegliches Material, bis wir uns glücklich und zufrieden am kleinen Gipfelplateau die Hände schütteln.

Die eingerichtete Abseilpiste zwischen Preußturm und Punta Frieda bringt uns rasch wieder zum Wandfuß. Anzumerken ist hier, dass sich diese sogenannte “Nervenschlucht” bei Gewitterregen in ein beklemmendes Inferno aus tosenden Sturzbächen und Steinschlagsalven verwandeln kann. Steinschlag ist generell ein Thema in dem engen Abwärtsschluf. Immer wieder nehmen wir die projektilartigen Geschoße wahr, welche wie Bälle von Wand zu Wand geschleudert werden. Vom Ende der Schlucht geht es in wenigen Minuten zurück zu unseren Autos die wir bei der Auronzo Hütte geparkt hatten.

Die Überlieferung besagt zwar, dass diese Tour von Preuß und Relly am Nachmittag ohne das verwenden eines Mauerhakens erstbegangen wurde, doch bin ich mir nicht sicher ob ich das Glauben kann. Ebenso kursieren Berichte, die von einer Ernagelung der schwierigen Stellen spricht. Die Wahrheit wird wahrscheinlich irgendwo dazwischen liegen.

Hard Facts:

  • Gebirge: Sextener Dolomiten / 3 Zinnen
  • Route: Preußriss
  • Schwierigkeit: V+
  • Wandhöhe: 200m
  • Erstbegeher: Paul Preuß und Paul Relly am 06.09.1911

Tipps und Infos:

  • Material: 60m Halbseile (vereinfachen den Abstieg), 8 Bandschlingen mit Schnappern, 1 Set Friends und 1 Set Klemmkeile
  • Führerliteratur:
    • 3 Zinnen – Klassische und moderne Routen – Giovanni Renzi und Erik Svab
    • Best of Dolomiten – Ivo Rabanser
    • Kompass Wanderkarte 625 – Sextener Dolomiten 1: 25 000
    • Tourenbeschreibung
  • Die Maut auf die Auronzo Hütte beträgt 30€ und jeder weitere Tag kostet 15€ (Stand 2019)
  • Die Mautstation ist ab 6:00 Uhr besetzt, vorher sind die Schranken meist geöffnet – Zeit ist in dem Fall Geld
  • Schlafen im Auto/Wohnmobil wird auf dem Parkplatz der Auronzo Hütte geduldet,  man hat jedoch keine Möglichkeit für Wasserversorgung
  • Das Essen auf der Auronzo Hütte sowie auf der Lavaredo Hütte ist äußerst minderwertig und überteuert

Fazit

  • Eine wunderschöne, steile und geschichtsträchtige Tour
  • Man denke daran, dass die Route bereits 1911 erstbegangen wurde
  • Die wohl ausgesetzteste Line in diesem Schwierigkeitsgrad, die mir bislang bekannt ist